Was vom Leben übrig bleibt
Zwei Fotos aus den 1930ern: Hier stellen sich verhärmte peruanische Arbeiter zum Familienfoto auf, dort blicken zwei junge Großgrundbesitzer stolz, eine Spur arrogant sogar in die Kamera. Das Objektiv des Peruaners Baldomero Alejos (1902–1976) dokumentierte Ungleichzeitigkeiten der Moderne. Die Schau des Museums Europäischer Kulturen und des Ethnologischen Museums öffnet mit etwa 60 Fotos das Archiv dieses Chronisten peruanischen Lebens vor dem Bürgerkrieg zwischen 1980 und 2000, der fast 70 000 Menschen das Leben kostete. Auf Alejos’ Bildern deuten sich die Umbrüche an. […]
Die Schwarz-Weiß-Abzüge entstanden vor allem in Ayacucho, wo Alejo 1924 ein Fotoatelier eröffnete und fast 50 Jahre kleinstädtischen Lebens ablichtete, selten die Politik, oft aber das Politische im Privaten: Familien, Feste, Kirchengänge oder sportliche Ereignisse sind Sujets der Bilder. So präsentiert sich eine Juniorinnen-Volleyballmannschaft auf einer (leider undatierten) Fotografie. […] Erschütternd das Bild eines Elternpaars, das sich mit dem festlich geschmückten Leichnam seines Kleinkindes fotografieren lässt. Babyfotos waren noch unüblich, daher wurden solche Post-mortem-Bilder oft als einzige Erinnerung an das Kind angefertigt. Ein Ausstellungsexkurs verknüpft die Atelierpraxis Südamerikas mit der europäischen Fototradition in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Jens Hinrichsen | Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 11.12.2008